Die Geschichte aus der Sicht seiner Tochter.
Mein Vater, der Maler und Graphiker
geb. 04.12.1904
Als ich 1951 zur Welt kam, wohnten wir in Hennef/Geistingen. Paul arbeitete als Heizungsmonteur und meine Mutter Imina Hesse (geb. Voss) als Gymnastiklehrerin.
Die Großeltern väterlicherseits waren schon verstorben. Mein Vater erzählte von „Mutter Hesse“, die alles zusammenhielt. Es gab wohl noch Schwestern, Frieda und Emilie und den 20 Jahre älteren Bruder. Paul pflegte zu sagen: „Mein Vater war bei Hofe“, (er war dort Gärtner). Ja, er hatte einen eigenwilligen Humor, war charmant gegenüber Frauen und kolliegial im Arbeitsleben. Sein älterer Bruder war nach Hamburg umgezogen und heiratete Hanni, 1914 ging er in den 1. Weltkrieg und kam nicht mehr zurück. Seine Tochter Luise lernte er nicht mehr kennen.
Paul absolvierte die 8 Volksschuljahre und machte eine Lehre als Schlosser. Kaum fertig machte er sich zu Fuß auf nach Hamburg und lebte dort bei der Schwägerin und Tochter, meiner Tante Hanni und Kusine Luise.
Luise kam aus der Schule und sagte: „Onkel Paul, kannst du mir einen Baum zeichnen, ich brauche ihn Morgen in der Schule?“ Paul nahm Stift und Papier und zeichnete ihr einen Baum. Am nächsten Tag kam Luise ganz aufgeregt zu ihm. Onkel Paul, die Lehrerin war ganz begeistert und sagt du musst unbedingt Künstler werden, du bist hochbegabt. Paul freut sich, er skizzierte gerne. Mit nur wenigen Strichen entstand z.B. Pferde, Boote, aber auch Menschen in Alltagsszenen.
Paul war interessiert an Menschen, Politik und las alle Bücher denen er habhaft wurde. Er konnte auch später noch alle Balladen komplett auswendig, z.B. die Glocke, die Bürgerschaft usw. Er rezitierte gerne lange Stücke, auch von Eugen Roth und Ringelnatz. Er zeichnete Karikaturen zu vielen Anlässen. Als Luise später Bibliothekarin war, versorgte sie ihn mit Büchern aller Art. Wenn eine Kollegin von ihr Geburtstag hatte, zeichnete Paul Karikaturen als “ Geschenk“, auf die diese ganz heiß waren, die blieben in der Agentur des Rauen Hauses. Leider gibt es aus der Zeit nicht mehr Vieles. Seine „FKK-Strand“ Skizzen sind unsigniert und sonst unterzeichnete er mit
„O.Pa“ von Onkel Paul.
Er arbeitete an 1923 bei Blohm und Voss in Hamburg. Ab 1929 schuf er vereinzelte Zeichnungen Karikaturen.
Seit 1945 arbeitet Paul freischaffend als Maler und Graphiker Autodidakt. Der Vorsitzende des Rheinisch-Bergischen-Künstlerkreises, F.M. – Janzen „entdeckte“ Paul Hesse 1946.
Paul Hesse wurde 1946 Mitglied des Rheinisch-Bergischen-Künstlerkreises (RBK), bis zu dessen Auflösung 1957 und er war Mitglied im „Verband bildender Künstler Nordrheinwestfalen“.
Es gab viele Gruppen – und Einzelausstellungen, die seine Arbeiten zeigten.
1948 erhielt er den 1. Preis in der „Ausstellung der Siegkreiskünstler“.
Er heiratete Imina Voss aus Hamburg, die er in der Ausstellung des RBK kennen gelernt hatte. Imina war mit Martin Frey angereist und fuhr mit Paul Hesse zurück nach Hamburg. Von da an bis zu Pauls Tod am 02.01.1975 war sie seine „Muse“, Ehefrau und bedingungslose Unterstützerin seiner Arbeit.
Ich wuchs in dem Künstlerhaushalt auf. 1954 zogen wir von Geistingen in die Hochstadt 8, auch in Hennef/Sieg. Meine Mutter arbeitete als Gymnastiklehrerin und Masseurin, während mein Vater im Wohnzimmer malte, zeichnete, Ölfarben verspritzte, druckte u.v.a.m. Er bat mich immer „Reste“ aus dem Handarbeitsunterricht mit zu bringen, die er in herrliche Stoff- und Fadencollagen verwandelte.
„Was andere wegwerfen, daraus mache ich Kunst!“
Das war die Aussage meines Vaters in den 50er Jahren und er setzte sie in die Tat um.
Seine frühen Arbeiten waren Pinsel- und Federzeichnungen, großformatige Tuschearbeiten. Zur gleichen Zeit experimentierte er mit Marmorätzungen. Die Menschen warfen ihre Marmorwaschtische weg, Paul holte sich die Platten. Er zeichnete darauf, überzog alles mit einer Lackschicht, ritzte die Bleistiftstriche nach und ätzte mit Salzsäure. Ich sah als Kind mit Sicherheitsabstand staunend zu, wie es brodelte, zischte und später Pferde, Menschen, Boote aus der Platte wuchsen und wir Abdrucke nehmen konnten. Bei den „Bruchstücken“, also den kleinen Marmorresten durfte ich Papa oft helfen. Wenn die Platte ganz geblieben war, entstanden riesige Engel und Frauenköpfe, ich liebte diese Steinschnitte.
Dann folgten die Collagen (Papier, Stoffreste und Fäden).
1957 entstand die tachistischen Ölbilder, (Aktions- und Meditationsflächen), die zusammen mit den Collagen im Jahre 1959 in der Galerie Boisseree in Köln ausgestellt wurden. In der Ausstellung „Kölner Künstler“ in der Hahnenburg Köln wurden sie 1958 erstmals gezeigt.
Die Technik der Fadencollagen:
Ein Bildträger wird mit einem Gespinst von Fäden überzogen, so dass im Entstehungsprozess der Faden eine noch manipulierbare Linie bleibt. Es bilden sich leicht erhöhte Strukturen, die sich später zu den dreidimensionalen Materialbildern entwickelten.
Technik: mit Kleister getränkte Abfälle werden auf Platten geformt, gefaltet, gequetscht, strukturiert, schrundig, rissig oder glatt. Mit Leinen 3-4 fach überspannt, aufgeschlitzt und überlappt, so dass die darunter liegenden Schichten an einigen Stellen freigelegt werden. Die monochrom schwarzen oder weißen Objekte dokumentieren, dass die Einfarbigkeit in diesen Arbeiten ihre Berechtigung hat.
Der Kunstkritiker J.H. Thwaites sagte über die schwarzen Materialbilder:
„Paul Hesses Arbeiten sind nicht bedrückend schwarz, sondern meditativ.“
Ich liebe diese ganz besonders und habe seit meinem Auszug mit 18 Jahren, immer welche in meinen Räumen hängen. Sie geben mir Kraft und beruhigen mich. So lebt Omas defektes Heizkissen, samt Schalter in einem der Bilder weiter. Auch bei der Namensfindung durfte ich helfen, z.B. „Die eingepackte Großmutter“. Wie eine Mumie anmutend, weil Paul Plastikabfall verbrannte und die geschmolzene Masse benutzte. Nach einer großen Nieren OP (Krebserkrankung) wurden die Materialbilder weiß gemalt und so blieb es bis zu seinem Tod durch Gehirnschlag.
Es war eine ungewöhnliche, aber inspirierende und abwechslungsreiche Kindheit und Jugend in dem Künstlerhaushalt. Auch mit seinen Bildhauerfreunden Manfred Saul, Manfred Ott und Karl-Heinz Fehlinger und vielen anderen mehr. Heute bin ich sehr dankbar dafür.
Oft wurde ich gefragt: „War ihr Vater nicht im Krieg?“ Nein. Sein 20 Jahre älterer Bruder war Soldat im 1. Weltkrieg und ist dort gefallen. Paul zog zu seiner Schwägerin und Nichte nach Hamburg und arbeitete dort bei Blohm und Voss als Schlosser. Er erzählte, er war im Krieg in Polen, aber nicht als Soldat sondern als Monteur, der mit seinen Kollegen Strommasten aufstellte.
Direkt nach dem Krieg 1945 begann er ernsthaft zu zeichnen und zu malen. Es gab keine Farben zu kaufen, er nahm Kohlereste, mischte Asche und was er sonst fand. Er verarbeitete so die schrecklichen Bilder des Krieges, „Der alte Mann“, „die Jüdin“, viele Frauenköpfe und Mutter und Kind Szenen. Es gibt Frauenköpfe und Mutter und Kind Szenen. Es gibt Frauenköpfe aus der Zeit, die Imina ähneln, die er ja erst später kennen lernte, dann aber sofort „erkannte“, als er sie 1948 in Köln sah.
Kollegen sollen damals gesagt haben: „Paul würde auch mit Fäkalien malen, nur um sich künstlerisch ausdrücken zu können und es nichts anderes gäbe.“ Sich „ausdrücken“ können, war für ihn Überlebensnotwendig. Wie, bzw. womit, war ihm egal, Reste, Abfälle, alles war ihm recht. Er sagte immer: „Was andere wegwerfen, das ist mein Material für die Kunst“. Nicht verschweigen sollte ich auch, er hatte kein Maß beim Alkohol. Ein Mal wöchentlich betrank er sich gezielt mit Bier. Für die Familie nicht immer leicht. Meine Mutter Imina versuchte mir als Kind zu erklären, dass es was anderes ist, wenn ein Künstler trinkt oder der Angler von nebenan. Sie hat bedingungslos zu Paul gehalten, ihn geliebt, ihn aufgerichtet und gepflegt, bis zu seinem Tod.

Diese Webseite entstand auf besonderen Wunsch der Tochter von Paul Hesse. Ihr war es ein Herzensanliegen, dass das Schaffen und Lebenswerk ihres geliebten Vaters für die Nachwelt erhalten bleibt. Leider verstarb sie kurz nach der Fertigstellung 2022. Ihre Freunde und Wegbegleiter führten ihren Wunsch zu Ende.
Biographie
1904
geboren in Dessau | Besuch der Volksschule | Ausbildung als Schlosser
1923
zu „Blohm und Voss“ nach Hamburg
1929
vereinzelte Zeichnungen und Karikaturen
1943
nach Siegburg
1945
„entdeckt“ durch F.M. Jansen
1946
Mitglied des RBK (Rheinisch-Bergischer-Künstlerkreis) bis zur Auflösung 1957
1948
1. Preis der Siegkreiskünstler
1950
Heirat und Umzug nach Hennef
1964
Leitung des Kurses „Bildende Kunst erlebt und kritisiert“, VHS Siegburg
1975
verstorben in Hennef
Ausstellungen:
ab 1946 u.a. mit F.M. Janzen, Carlo Mense, Kurt Derkum
Gruppenausstellungen in Köln, Düsseldorf, Aachen, München, Bukarest, Leverkusen, Bonn, Proz, Königstwinter, Siegburg und Hennef.
Einzelausstellungen:
1945 Buchhandlung Ilse König, Bonn
1946 Siegburg Rathaus
1948 1. Preis als Siegkreiskünstler
1951 Rundschau Köln
1959 Boiasseree Köln
1963 Deutscher Bücherbund Bonn
1967 Sparkasse Hennef
1973 Galerie Hinrichs
1964 übernahm er die Leitung des Kurses „Bildende Kunst erlebt und kritisiert“ VHS Siegburg.
1963 Initiator der Gruppe „Die 10“
Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland.
Kurz vor seinem Tod sagte Paul Hesse:
„Eines kann mir niemand nachsagen, dass ich je abgeguckt hätte“.
Er ging konsequent seinen künstlerischen Weg von Tusche arbeiten, Steindrucken, farbige Collagen, den Ölbildern zu den monochromen Materialbildern.
